2016 saß eine Beitragsrebellin 61 Tage in Haft. Ab morgen liefert mein Buch brisante Fakten: Was wusste die ARD - und was tat sie hinter den Kulissen. Ich suche gerade nach einem Wort, das sowohl Freude als auch Nervosität ausdrückt

Heute ist der 13. Juli 2020. Wer nicht mit Pfeil und Bogen durch den Schwarzwald turnt und mit ein paar Polizeihundertschaften Verstecken spielt, für den ist heute ein ganz normaler Montag. Bisher folgte auf jeden Montag immer auch der Dienstag. Gerade das macht mich so nervös: Morgen ist Dienstag, der 14. Juli.
Größenwahn – Bedeutung laut Wörterbuch:
Schmeichelnde Fehleinschätzung der eigenen Möglichkeiten
Die Bastille wurde an einem 14. Juli erstürmt, bald darauf rollten in Frankreich royale Köpfe. An einem 14. Juli wurde das MP3-Format geboren, bald darauf weinten Plattenbosse ihren alten Milliarden nach. An einem 14. Juli machte Karlsruhe den Weg frei für die von oben verordnete Schlechtschreibreform. Bald darauf gab es keine einzige Dampfschiffahrtsgesellschaft mehr. Schuld war wohl ein F, das plötzlich gefehlt hat.
Vielleicht ist der 14. Juli ein magischer Tag? Vielleicht markiert er zuverlässig den Anfang vom Ende des Alten? Manchmal wenden sich die Dinge dann zum Schlechten, manchmal aber auch zum Guten. Morgen ist wieder ein 14. Juli, morgen erscheint doch mein erstes Buch: »AbGEZockt: Warum Millionen Deutsche keinen Rundfunkbeitrag zahlen und wie auch Sie sich wehren«. Vielleicht blicken wir später einmal auf diesen 14. Juli 2020 zurück und sagen: Das war der Anfang vom Ende – vielleicht nicht für ARD und ZDF, aber wenigstens für ihren verhassten Rundfunkbeitrag. Dieser Mähler brachte da etwas ins Rollen ...
Ein guter Rat von Freunden:
Nein, nach Rücksprache mit Freunden wird der 14. Juli 2020 ein schrecklich normaler Dienstag. Das mit der Hoffnung bleibt unter uns. Mein Buch ist bloß eines von vielen, und ich darf schon jubeln, wenn es nicht komplett untergeht. Markus Mähler ist nervös, überspannt und dreht sich im Kreis. Der freundschaftliche Rat für Markus Mähler lautet: Schreibe bloß keinen bedeutungsschwangeren Mist über dein Buch! Niemand kennt dich! Du kannst dir keine Allüren leisten! Was Du alles über die GEZ herausgefunden hast, ist erschreckend, aber das weiß doch noch niemand! Wer weiß, ob es überhaupt jemanden interessiert?
Gut, dann schreibe ich darüber, dass mir das Essen nicht schmeckt, der Hausschlüssel verschwunden ist und mein Laptop untergetaucht. Auch hier lautet der freundschaftliche Rat: Niemand will das wissen! Dein Schlüssel steckt garantiert im Schloss, dein Laptop liegt bei uns auf dem Tisch – zusammen mit dem Handy. Du bist nervös, wegen des Erscheinungstermins, das ist normal. Für Dich steht einiges auf dem Spiel, aber komm damit klar; wir alle haben gerade eine schwere Zeit! Wer solche Freunde hat, fragt sich: Über was darf ich bitte noch schreiben? Also gut, der dritte Versuch:

Tichys Einblick veröffentlicht gerade einen Vorabdruck des ersten Buchkapitels: »Haftzellen für Beitragsrebellen: Der Fall Sieglinde Baumert«. Platz vier in der Liste »Meistgelesen« und 31 Kommentare. Ich lese mit. Wie nehmen es die Menschen auf? Zum Beispiel hat die ARD damals notgedrungen erklärt, dass ihre Rolle bei ihren Haftskandalen klein sei. Man habe da praktisch keinen Einfluss. An diesem Punkt sind wir 2016 stehengeblieben, das glauben wir, das hinterfragt kaum einer.
Das Neue steht eben noch nicht im ersten Kapitel: Ich habe mir alle weiteren Einzelfälle angeschaut. Ich habe mit den Menschen gesprochen und nicht nur über sie. Ich habe mich sogar selbst vollstrecken lassen. Die Rolle der ARD bei ihren Haftskandalen ist groß; viel größer, als es die Senderbosse bislang zugegeben haben.
In einem Leser-Kommentar heißt es aber: »Es waren doch nicht ARD-Mitarbeiter, die die mutige Beitragsverweigerin abgeführt haben. Auch die Beugehaft wurde sicher nicht vom Rundfunkrat veranlasst.«
Vielleicht sollte ich antworten: Es ist viel schlimmer. Das mit dem Haftbefehl war früher ganz einfach und ein Ausnahmefall. Wer Gläubiger war, wer das Geld in einer Vollstreckung wollte, der musste die Verantwortung für diesen Haftbefehl schultern. Die ARD lässt den Rundfunkbeitrag millionenfach vollstrecken und dabei werden Haftbefehle als Druckmittel eingesetzt – systematisch und wie vom Fließband. Die ARD hat sich ein bürokratisches Zwangssystem erschaffen, was seinesgleichen sucht. Die Sender haben viel, vielleicht zu viel dafür getan, um nichts mehr von den Menschen wissen müssen, die sie massenhaft vollstrecken lassen.
Und plötzlich wieder nur ein Leser unter vielen
Der Beitragsservice nimmt hinter den Kulissen aber trotzdem massiven Einfluss auf die Vollstrecker und das große Vollstrecken. Die ARD könnte alle Haftfälle verhindern, die Sender könnten es stoppen. Niemand wird mit Haftbefehlen weichgekocht, wenn es die ARD nicht will – wenn es die ARD nicht wollen würde. Die ARD sagt aber wenig bis gar nichts über ihre eigenen Haftfälle und wenn, dann ist es für mich nicht mehr als heiße Luft. Was irgendein Pressesprecher sagt, spielt keine Rolle. Die Chefetage der ARD muss dazu einen Beschluss fassen – und das ist nach all den Jahren und nach all den Einzelfällen, den Menschen hinter Gittern, noch immer nicht geschehen.
Leider passt so viel Text nicht mehr in die Kommentarbox. Wer wird es überhaupt lesen? Plötzlich bin ich wieder nur ein Leser unter vielen. Was Tichy abdruckt, darauf habe ich keinen Einfluss. Ich kann bloß abwarten und hoffen. Möchten die Menschen erfahren, dass ihre Mitmenschen durch eine Bürokratiemaschine gedreht werden wie durch einen Fleischwolf? Menschen, die bloß ein Wort gesagt haben: Nein! Menschen, die zum Rundfunkbeitrag nicht mehr gezwungen werden wollten.

Bei Tichy lächelt Sieglinde Baumert neben meinem Buch. Sieglinde Baumert! Die Frau, die 61 Tage im Chemnitzer Frauengefängnis saß. Die Frau, die auch sechs Monate lang gesessen hätte. Ich blättere noch einmal durch das Buch und dann kommen sofort die Erinnerungen zurück: Das habe ich gemeinsam mit Sieglinde Baumert erlebt. Absurde Dinge, unbeschreibliche Dinge, sie wurden trotzden beschrieben – und noch immer fühle ich dabei diese Ignoranz der ARD.
Ich sehe wieder, wie wir damals ihre Vollstreckungsunterlagen wälzen und einen Kaffee nach dem anderen trinken. Die Lektüre war schrecklich: Ein Richter sollte erklären, warum all das, was Sieglinde Baumert widerfahren ist, angemessen und gerecht war. Auf diesen vielen Seiten steht nichts darüber, ob es angemessen und gerecht war; genau genommen steht dort sogar Unsinn. Ein Bandwurmsatz fügt sich an den anderen, der längste schlängelt sich über eine Dreiviertelseite. Worum geht es in diesem Satz? Es geht: um ein Komma! Da ist ein Komma gestrichen worden, in einem Paragrafen, darüber schreibt ernsthaft ein Richter! Meiner Ansicht nach wollte er Platz schinden, das leere Blatt füllen.
Straßenbau: Ich sehe wieder diese Absperrzäune, direkt vor dem Büro des Gerichtsvollziehers. Wir müssen uns den Weg durch ein Labyrinth bahnen. Sieglinde Baumert und ich sind gerade auf dem Weg zu ihrer zweiten Vermögensauskunft. Sie wird nach der ersten Haft erneut vollstreckt. Sie soll die Kosten ihrer Haft bezahlen; so, wie man bitteschön das Hotelzimmer der letzten Nacht bezahlt. Dieser Termin beim Gerichtsvollzieher gleicht einer Massenabfertigung. Menschen stehen in der Reihe, jeder Zweite hat den Rundfunkbeitrag nicht gezahlt. Ich höre immer noch die Worte eines jungen Vaters: Meine Tochter soll nicht sehen, wie die meine Wohnung aufbrechen.
Ein brisanter Brief taucht auf
Da ist wieder dieser Brief an den MDR: Sieglinde Baumert hat ihn geschrieben, mit meiner Hilfe und der von Olaf Kretschmann. Wir wollten Licht ins Dunkel bringen, ihren Haftfall endlich aufklären: Was hat der MDR gewusst, wann hat er davon erfahren, wie hat er reagiert? Der MDR erklärt: Er sitzt in Sachsen, dort gibt es kein Informationsfreiheitsgesetz, er muss nichts erklären – nicht der Frau, durch die ganz Deutschland erfahren hat, dass Beitragsrebellen hinter Gittern landen.
Da ist aber auch noch ein weiterer Brief, der uns nun endlich vorliegt: Er ist an die Vollstreckungsbehörde gerichtet, die Sieglinde Baumert damals ins Gefängnis schickte. Mit diesem Brief beendete der MDR damals diese Haft und dort findet sich ein Satz, der den MDR nicht gut aussehen lässt, der sogar für die ganze ARD misslich sein könnte. Er zeigt, wie der Rundfunk in das Haftspiel eingreift, und er zeigt noch mehr ...